Predigten

Predigt über Matthäus 5,38-45

von Pastor Gerd Peter am 20.10.2024

 "Ihr wisst, dass gesagt worden ist: 'Auge um Auge und Zahn um Zahn!' Ich sage euch aber: Wehrt euch nicht mit Gewalt gegen Menschen, die euch etwas Böses antun! 

Sondern: Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin! Und wenn dich jemand verklagen will, um dein Obergewand als Pfand zu bekommen, dann gib ihm auch noch die Unterbekleidung dazu! Und wenn dich jemand dazu zwingt, seine Sachen eine Meile zu tragen, dann geh zwei Meilen mit ihm! Wenn dich jemand um etwas bittet, dann gib es ihm! Und wenn jemand etwas von dir leihen will, sag nicht 'Nein'." 

"Ihr wisst, dass gesagt worden ist: 'Liebe deinen Nächsten und hasse deinen Feind!' Ich sage euch aber: Liebt eure Feinde! Betet für die, die euch verfolgen! So werdet ihr zu Kindern eures Vaters im Himmel! Denn er lässt seine Sonne aufgehen über bösen und über guten Menschen. Und er lässt es regnen auf gerechte und auf ungerechte Menschen.
 

Liebe Gemeinde, 

die Gewaltspirale dreht sich unaufhörlich. Im menschlichen Miteinander, im Straßenverkehr, in sozialen Medien, im politischen Diskurs. Die Partei „Die Grünen“ zog vor 40 Jahren als Friedenspartei in den Deutschen Bundestag ein. Viele ihrer Mitglieder identifizierten sich damals mit den Idealen des Pazifismus. Heute zählt der grüne Abgeordnete Anton Hofreiter zu denen, die am lautesten nach immer mehr und immer weiter reichenden Waffen für die Ukraine rufen. Und er steht damit nicht allein. Von Marie Agnes Strack-Zimmermann (FDP) reden wir lieber gar nicht! 

Sei´s drum. Die Bibel lehrt uns einen anderen Weg! „Erlöse uns von dem Bösen! Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit.“ lehrt Jesus uns zu beten. Wir werden das Böse nicht mit Bomben, nicht mit Raketen, nicht mit Gewalt besiegen. Im Gegenteil – indem wir Gewalt anwenden, nimmt das Böse uns für sich in Anspruch, ob wir es nun wollen oder nicht. 

Was meint die Bibel, wenn sie sagt: Jesus Christus hat die Macht des Bösen überwunden? Was meinen wir, wenn wir sagen: Durch die Auferstehung Jesu hat Gott die Macht des Todes zerstört? Vertrauen wir darauf, dass es sich so verhält? Glauben wir es wirklich oder sagen wir es nur so dahin? 

„Überwinde das Böse mit Gutem.“ schreibt Paulus im Römerbrief. „Widersteht fest im Glauben.“ heißt es an anderer Stelle. Von Passivität angesichts des Bösen ist nirgends die Rede. Widerstand gegen das Böse ist gefordert – aber nicht gewaltsam. Die Bibel verbietet niemandem sich zu verteidigen. Es soll aber ohne Gewalt geschehen. 

Auch in Palästina zur Zeit Jesu war der Alltag von Gewalt durchzogen. Schauen wir uns die drei Beispiele an, die Jesus anführt: „Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin!“ Ein Schlag mit der rechten Faust würde die linke Backe treffen. Um die rechte mit der Faust zu treffen, müsste man mit der linken Hand schlagen. Die allerdings schied aus, weil die linke Hand ausschließlich zur Ausführung unreiner Arbeiten verwendet wurde. Um die rechte Backe mit der rechten Hand zu treffen, konnte es nur ein Schlag mit dem Handrücken sein. 

Ein solcher Schlag diente aber eher dazu, jemanden zu beleidigen und zu erniedrigen als ihn zu verletzen. Sklaven wurden auf diese Weise von ihren Herren geschlagen, Frauen von ihren Männern, Kinder von den Eltern, Juden von römischen Besatzern. Es ging darum, jemanden, der sich aufmüpfig gezeigt hatte, auf seinen Platz zu verweisen. „Wenn dich jemand schlägt … - offensichtlich kannten Jesu Zuhörer diese Situation zur Genüge! 

Jesus sagt ihnen: Weigert euch, so eine Behandlung länger hinzunehmen. Indem er die andere Wange hinhält, macht es der Knecht seinem Herrn unmöglich, ihn wieder mit dem Handrücken zu schlagen. Die Nase ist im Weg. Die linke Wange wäre jetzt eine perfekte Zielscheibe für einen Schlag mit der rechten Faust. Mit den Fäusten haben aber nur Gleichgestellte gekämpft. Sich seinem Untergebenen gleichzustellen, liegt wohl kaum im Interesse des Herrn. In jener Kultur der Ehre und der Scham ist damit dem „Höherstehenden“ die Macht genommen worden, einen Untergebenen zu beschämen, ihn zu entmenschlichen. Was Jesus hier rät, ist voller Witz und Kühnheit. Es ist frech und widerständig – aber völlig ohne Gewalt. Wenn große Gruppen anfangen, sich so zu verhalten, hat man es mit einer sozialen Revolution zu tun... 

Das zweite Beispiel gewaltfreier Selbstbehauptung spielt in einem Gerichtssaal. Ein Gläubiger hat einen armen Mann wegen eines nicht zurückgezahlten Darlehens verklagt. Die hebräische Bibel schreibt vor, dass er als Pfand das lange Obergewand eines Armen nehmen durfte, es aber jeden Abend zurück geben musste, damit der Arme etwas hat, worin er schlafen kann. 

Verschuldung und Verelendung waren eine Plage im Palästina des ersten Jahrhunderts. Ursächlich hingen sie mit der Steuerpolitik des römischen Imperiums zusammen. Die Statthalter gaben die Forderungen der Zentralregierung direkt weiter an die Bevölkerung in den Provinzen. Seine Zuhörer wissen genau, wovon Jesus spricht. „Wenn dich jemand verklagt …“ Es gehörte für viele von ihnen zum Alltag. Wenn Jesus nun rät, auch noch die Unterbekleidung herzugeben, bedeutet das: alles ausziehen und völlig nackt durchs Gericht zu marschieren. Nacktheit aber war ein Tabu, und die Schande fiel weniger auf die nackte Person selbst als auf diejenigen, die sie sahen oder sogar verursachten. Indem er sich ganz auszieht, beschämt der Schuldner also den Gläubiger. Er dreht den Spieß um. Eigentlich hatte der Schuldner keine Chance den Prozess zu gewinnen. Aber der arme Mann hat sich über den Versuch, ihn zu demütigen, erhoben. Zugleich hat er das System bloßgestellt, das seine Schuldsituation geschaffen hat. „Meine Armut ist euer Problem!“ Und jetzt stellen wir uns vor, das spricht sich rum ... 

Jeder, der sich auf der Straße befand, konnte von einem römischen Soldaten gezwungen werden, sein Marschgepäck eine Meile weit zu schleppen. Die römischen Armeen mussten sich schnell bewegen. Hochstehende Legionäre kauften sich Sklaven oder Esel, um ihr schweres Gepäck zu tragen. Gewöhnliche Soldaten waren auf die Dienste zwangsrekrutierter Zivilisten angewiesen. Ganze Dörfer sind manchmal geflohen, um das Gepäck der Soldaten nicht tragen zu müssen. Es war allerdings ein Verstoß gegen den Militärkodex, das Gepäck eine zweite Meile tragen zu lassen. Wer als Soldat gegen diese Vorschrift handelte, konnte vom Vorgesetzten zu einer Geldbuße oder auch einer Prügelstrafe verdonnert werden. 

Stellen wir uns die Überraschung und Verunsicherung des Soldaten vor, wenn er am nächsten Meilenstein unwillig sein Gepäck wieder aufnehmen will, und der Zivilist sagt: „Lass mal, ich trag´s noch eine Meile.“ Ist das nun eine Provokation? Eine Beleidigung der Kraft des Legionärs? Eine Gefälligkeit? Ein Versuch, ihm eine Disziplinarstrafe einzubrocken? 

Jesus rät nicht zum gewaltsamen Aufstand. In allen drei Beispielen haben die Unterdrückten ihre Unterdrücker aus der Fassung gebracht. Sie haben selbst das Heft des Handelns in die Hand genommen. Sie haben sich widersetzt und Widerstand geleistet – ohne Gewalt! Solches Handeln kann Machtverhältnisse nachhaltig erschüttern, ohne dass zusätzliche Opfer von Gewalttaten zu beklagen wären. 

Gewaltfreiheit ist also alles andere als Passivität. Sie erfordert Mut, Witz und Einsatz. Sie eröffnet dem Feind Möglichkeiten sich und sein Verhalten zu verändern, selbst die gewalttätigen Strukturen und Systeme in Frage zu stellen und zu widerstehen. Gewaltfreier Widerstand lässt dem Gegner immer seine Würde als Mensch. „Liebt eure Feinde! Betet für die, die euch verfolgen!“ sagt Jesus. Wie schon der Prophet Jeremia 500 Jahre zuvor gesagt hatte: „Seht zu, dass es der fremden Stadt gut geht, in die ich euch verbannt habe! Betet für sie zum Herrn! Denn geht es ihr gut, wird es auch euch gut gehen. Und ihr werdet in Frieden leben.“ 

Nun, es gehört zur Wahrheit, dass gewaltfreier Widerstand nicht immer erfolgreich ist. Er trägt nicht immer den Sieg davon. Dieses Risiko bleibt. Das gilt für gewaltsames und kriegerisches Handeln aber gleichermaßen. Nur dass durch die Gewalt die Welt noch viel schlechter geworden ist. 

Nein, die eine Lösung für die vielen Kriege und Gewaltexzesse habe ich nicht parat. Und wer angibt, es gäbe sie, der lügt! Aber dem Kriegsgeschrei und dem Ruf nach immer mehr Waffengewalt will ich widerstehen im Geiste Jesu, mit allen Risiken, die das in sich birgt. Ich will festhalten an dem Glauben, der darauf vertraut, dass das Reich Gottes kommt. Und ich will festhalten an dem Glauben, der darauf vertraut, dass die Bitte „Erlöse uns von dem Bösen!“ nicht ins Leere läuft.